Brennpunkt Unfallregulierung: Ersatz der Desinfektionskosten
Bei der Unfallregulierung ist mit dem Ersatz der Desinfektionskosten nach einer Reparatur seit einiger Zeit ein neuer Brennpunkt und Streitfall mit den Haftpflichtversicherungen festzustellen. Denn wer unverschuldet einen Verkehrsunfall erlitten hat und sein Fahrzeug repariert hat lassen, will natürlich alle entstandenen Kosten von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners ersetzt bekommen.
Dazu gehören regelmäßig die reinen Reparaturkosten sowie als Nebenpositionen etwaige Abschleppkosten wie auch die Kosten eines Sachverständigen.
Wegen der Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie desinfizieren die Reparaturwerkstätten allerdings nach der Reparatur die Fahrzeuginnenräume und führen diese Teilkosten in der Reparaturrechnung mit auf.
Neue Regulierungspraxis der Haftpflichtversicherungen
Doch seit einiger Zeit werden die Nerven und die Geduld von Geschädigten durch eine neue Regulierungspraxis der Haftpflichtversicherer auf die Probe gestellt. Denn bei der Regulierung von Verkehrsunfällen ist seit Beginn der Coronapandemie festzustellen, dass die Haftpflichtversicherer in vielen Fällen nicht die in der Reparaturrechnung aufgeführten Kosten der Desinfektion des Fahrzeugs erstatten. Der Ersatz der Desinfektionskosten wird vielfach von den Versicherern verweigert.
Dieser Streitfall und Brennpunkt bei der Unfallregulierung hat den folgenden Hintergrund: Autowerkstätten führen seit Ausbruch der Coronapandemie nach der Reparatur aus Hygienegründen eine Desinfektion des Fahrzeuginnenraumes durch, damit der Geschädigte für sich die Sicherheit hat, dass möglicherweise bei der Reparatur in den Fahrzeuginnenraum eingeschleppte Coronaviren beseitigt werden und eine Ansteckungsgefahr minimiert wird. Die dadurch anfallenden Sonderkosten bewegen sich nach unserer Feststellung in der Regulierungspraxis in einer Bandbreite von ca. 40,00 EUR bis 75,00 EUR.
Die Auswirkungen für die Geschädigten
Die in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer kürzen allerdings regelmäßig die Regulierungssummen um den Betrag der Fahrzeugdesinfektion, weil sie meinen, dass es sich dabei nicht um notwendige und damit ersatzfähige Kosten handeln würde. Dies ist für die Geschädigten ärgerlich, weil sie möglicherweise auf einem (wenn auch summenmäßig) kleineren Teil der angefallenen Kosten sitzen zu bleiben drohen.
Viele Geschädigte werden aber, vor allem wenn sie nicht rechtsschutzversichert sind, den weiteren Streit und ggf. ein Klageverfahren wegen der Kosten vermeiden, vor allem wenn es sich bei den Desinfektionskosten um einen verhältnismäßig eher kleineren Betrag handelt. Genau damit rechnen die Haftpflichtversicherer, für die die Unfallregulierung ein Massengeschäft ist und bei denen sich die eingesparten Beträge schnell summieren.
Das sagt die Rechtsprechung
Allerdings haben sich vereinzelt untergerichtliche Instanzen mit der Streitfrage befasst und den Geschädigten in einigen Fällen den Ersatz der Desinfektionskosten zugesprochen, weil es sich insoweit um einen ersatzfähigen Schaden i.S.v. §§ 249 ff. BGB handelt.
Nach aktueller und mehrheitlicher Rechtsprechung (Landgericht Stuttgart, Urteil vom 21.07.2021, 13 S 25/21; Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 29.06.2021, 19 S 4/21; AG Frankenthal, Urteil vom12.04.2021, 3a C 253/20; AG Heinsberg, Urteil vom 04.09.2020, 18 C 161/20; AG Köln, Urteil vom 04.10.2021, 264 C 134/21; AG Braunschweig, Urteil vom 29.09.2021, 120 C 494/21; a.A. AG Hannover, Urteil vom 22.09.2021, 531 C 6705/21) sind auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten, weil sie den erforderlichen Aufwendungen bei der Fahrzeuginstandsetzung zählen.
Der Ersatz der Desinfektionskosten findet seine Grundlage in § 249 BGB. Danach hat, wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
Dazu wörtlich das AG Frankenthal:
„Dabei kann der Geschädigte von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S.1 BGB Gebrauch machen und die Reparatur seines Fahrzeuges selbst veranlassen. Er kann danach, wenn bei der Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten ist, den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach einer unfallbedingten Reparatur sieht sich der Geschädigte regelmäßig einer Rechnung der Werkstatt ausgesetzt. Unerheblich erscheint in diesem Zusammenhang, ob er jene bereits ausgeglichen hat.
Denn auch die Belastung mit einer Verbindlichkeit stellt einen ersatzfähigen Schaden dar, die mangelnde ausdrückliche Vereinbarung zwischen dem Geschädigten und der Werkstatt steht der Annahme eines Schadens ebenso wenig entgegen. Vielmehr sind die Desinfektionsmaßnahmen Teil der infolge des Unfalls in Auftrag gegebenen Reparatur und damit im Rahmen der Schadensregulierung konkludent vereinbart worden. Insofern hat der Geschädigte objektiv betrachtet einen Schaden, welchen er auf der Grundlage des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB geltend machen kann.“
Wie das AG Frankenthal weiter ausführt, sind bei der Ermittlung des zu leistenden Schadensersatzes auch die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mit zu berücksichtigen. Danach darf ein Geschädigter die Kosten ersetzt verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991 – XI ZR 314/90).
Geschädigter darf eine Reinigung und Desinfektion erwarten
Zutreffend vertritt das Gericht die Auffassung, der Erstattungspflicht könne nicht entgegengehalten werden, „dass eine Pandemie ein außergewöhnliches Ereignis sei, denn der Zurechnungszusammenhang nach der Adäquanztheorie entfällt nur bei gänzlich unwahrscheinlichen Ereignissen.
Dabei liegt es bei nunmehr ohne wesentliche, konzeptionell begründete Gegenmaßnahmen bestehender Pandemie nicht außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit, dass es zu entsprechenden Schutzmaßnahmen kommt und angesichts der aktuell empfohlenen Hygienemaßnahmen der Geschädigte die Desinfektion seines Fahrzeuges nach einer Reparatur berechtigterweise erwarten kann. (…) Die Reinigungskosten sind vorliegend auch in voller Höhe erstattungsfähig, denn eine Differenzierung von Kostenpositionen im Zuge der Instandsetzung sind mit dem Grundgedanken des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB soll den Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst umfänglicher Schadensausgleich zukommen.“
Fazit
Vor dem Hintergund der genannten Rechtsprechung sollten sich Geschädigte nicht damit zufriedengeben, wenn ihnen Desinfektionskosten nicht erstattet werden, sondern vielmehr die Erstattung auch dieser Nebenkosten verlangen.