Haftung bei Motorradfahrten in der Gruppe
Gemeinsam auf Tour
Viele Motorradfahrer sind regelmäßig mit Freunden oder in einem festen Chapter unterwegs. Man trifft sich, plant die Route, klärt Zwischenstopps – und los geht’s. Ob Hausstrecke oder eine mehrtägige Tour, das Gruppenerlebnis steht im Vordergrund.
Grundsätzlich gibt es keine gesetzliche Obergrenze für die Anzahl an Fahrern in einer Motorradgruppe. Aus Erfahrung zeigt sich jedoch, dass der Fahrspaß mit zunehmender Gruppengröße – ab etwa zehn Personen – leidet. Ampeln, Kreisverkehre oder andere Verkehrssituationen führen häufig dazu, dass die Gruppe auseinandergerissen wird und regelmäßig auf Nachzügler gewartet werden muss.
Praxistipp: Gruppenfahrten werden entspannter, wenn entweder eine Sena-Kommunikation genutzt oder die Fahrweise nach dem „Second-Man-Drop“-Prinzip organisiert wird, damit niemand verloren geht.
Zudem sollte sich jeder Teilnehmer an die Grundregeln für das Fahren in der Gruppe halten. Wir fahren in unserem Chapter versetzt zueinander, jeder hält seine Position, überholen in der Gruppe nicht untereinander und auch für das Überholen langsamer Fahrzeuge wie z.B. Traktoren gibt es klare und allen bekannte Regeln, damit alle entspannt und sicher vorwärts kommen. Über das Überholen entscheidet der vorne fahrende Roadcaptain.
Wer haftet bei einem Unfall?
Trotz aller Vorsicht kommt es innerhalb von Motorradgruppen immer wieder zu Unfällen – etwa, wenn ein Fahrer abrupt bremsen muss und der Hinterherfahrende auffährt. In solchen Fällen stellt sich die Frage, wie es mit der Haftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aussieht. Zuständig dafür ist in der Regel die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers.
Auch wenn die Verschuldensfrage meist klar ist (gerade bei Auffahrunfällen), passiert es immer wieder, dass die Versicherer sich querstellen und eine Zahlung verweigern. Das Argument der Versicherer ist dabei immer wieder das Gleiche: Wer in einer Motorradgruppe fährt, verzichtet deshalb durch seine Teilnahme auf die Haftung.
Eine mir vorliegende Argumentation einer Versicherung lautet sinngemäß: „Alle Teilnehmer an der Gruppenfahrt haben billigend in Kauf genommen, dass entweder sie selbst oder die hinter und neben ihnen fahrenden Motorradfahrer bei einem Unfall oder sonstigen Störungen nicht rechtzeitig bremsen können und es deshalb zu einem Schaden kommt.“
So lebensfremd einem diese Argumentation erscheint, die Versicherer wollen sich damit auf ein Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Frankfurt aus dem Jahr 2015 berufen (Urteil vom 18.08.2015, 22 U 39/14), das genau zu diesem Ergebnis kam. Ein ähnliches Urteil fällte 2007 das OLG Brandenburg (Urteil vom 28.06.2007, 12 U 209/06).
Haftungsverzicht bei Gruppenfahrten – Ist das wirklich so ?
Ich denke, wir können wieder durchatmen und uns dabei auf die alte Juristenweisheit „es kommt darauf an“ berufen. Denn ein entscheidender Punkt in dem Frankfurter Urteil war, dass die Gruppe untereinander ohne den notwendigen Sicherheitsabstand und ohne feste Reihenfolge unterwegs war, was auch offenbar auch aktenkundig war oder vielleicht auch bei der polizeilichen Aufnahme des Unfalls und dann bei der Regulierung fröhlich vorgetragen wurde.
Diese Differenzierung wird von Versicherern aber gerne übersehen und stattdessen stumpf die Taste „Gruppenfahrt = stillschweigender Haftungsverzicht“ gedrückt. Eine solche schematische Lösung verbietet sich jedoch.
Denn es gibt auch Urteile, die sich mit dem Grundsatz „es kommt darauf an“ die Gesamtumstände des Unfalls und der Gruppenfahrt ansehen, wobei klar ist, dass dieses natürlich bei Gericht auch entsprechend vorgetragen werden muss.
Das Gericht war bei dem Unfall ja nicht dabei. Es liegt auch auf der Hand, dass die Haftung innerhalb eines funkensprühenden „Tieffluggeschwaders“ vor der Applauskurve mit Positionswechseln untereinander anders zu bewerten ist als die Gruppenfahrt mit Roadcaptain, festgelegter Reihenfolge und Sicherheitsabstand.
Urteile gegen den pauschalen Haftungsausschluss
Das Landgericht Nürnberg (Urteil vom 05.11.2019, 2 O 1772/19) kam entsprechend richtigerweise zu dem Ergebnis, dass die Gruppenfahrt selbst nicht zum Haftungsausschluss führt, wenn innerhalb der Gruppe der Sicherheitsabstand eingehalten wird und alle in einer festen Reihenfolge unterwegs sind. Die Versicherung des unachtsamen Motorradfahrers, der eine Bremsung in der Gruppe übersehen hatte, wurde entsprechend zur Zahlung verurteilt und ging gegen das Urteil auch nicht in Berufung.
In die gleiche Richtung urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 27.04.2021, 1 U 32/19), wonach im öffentlichen Straßenverkehr bei einem Unfall innerhalb der Gruppe regelmäßig die Annahme ausscheidet, dass es hier einen stillschweigend vereinbarten Haftungsverzicht gegeben hätte, oder einfacher ausgedrückt:
Wer mit dem Motorrad in der Gruppe unterwegs ist, verzichtet deshalb nicht auf die Haftung.
In dem letztgenannten Fall machte sich das Gericht dann die Mühe, die Gesamtumstände des Unfallhergangs genau aufzuklären, und kam zu einer Haftungsquote, weil beide Motorradfahrer ein Mitverschulden an dem Unfall hatten.